Aus: Volker Schütz (Hg.): Musikunterricht heute
Lugert-Verlag Oldershausen 1996 S.39 - 49
Das Thema dieses
Beitrags enthält eine Fülle von Aspekten. Nicht nur die einzelnen Begriffe Sprache,
Förderung, Musik, Unterricht, sondern vor allem die Kombinationen Sprache -
Förderung, Musik - Unterricht und erst recht die Verbindung aller vier
Gegebenheiten bringen eine Unmenge von Problemen mit sich. Einige
Vorbemerkungen zum Verhältnis Sprache-Musik, zum Ziel des Musikunterrichts und
zum Begriff der Förderung sollen den Rahmen für diesen Beitrag abstecken.
a.
Maßgeblich für die Beziehung Sprache-Musik sollen nicht die entwickelten musikalischen und sprachlichen Gestalten
wie z.B. Text und Melodie eines Liedes oder Darstellende Musik und ihre literarische
Vorlage sein. Bei diesen Beispielen
liegt der Zusammenhang zwischen Sprache und Musik darin, daß beide den gleichen
Inhalt transportieren, dasselbe bedeuten und sicher kann in diesen Fällen Musik
das Verständnis von Sprache fördern. In diesem Beitrag wird die Gemeinsamkeit
zwischen Sprache und Musik jedoch in den Ebenen gesehen, die der
Bedeutungsebene entwicklungsgeschichtlich vorausgehen und die als die
motorische und die klangliche Ebene der Stimme ausführlich erläutert werden.
b.
Ziel des Musikunterrichts ist es, den Schülerinnen und Schülern die
"objektive und subjektive musikalische Realität" zu erschließen.
Objektive Realität sind die unterschiedlichsten Musiken dieser Welt, subjektive
Realität sind die individuellen musikalischen Bedürfnisse und Fähigkeiten. Die
subjektive, innere und die objektive, äußere Wirklichkeit gehört zusammen wie
die Kehrseiten einer Münze zusammengehören. Die Erschließung dieser Realitäten
geschieht durch Lernen. Musiklernen bedeutet, daß sowohl die musikalischen
Gegenstände als auch die musikalischen Bedürfnisse und Fähigkeiten Konturen
annehmen, sich differenzieren. Bei den musikalischen Fähigkeiten und den zugrundeliegenden
Bedürfnissen handelt es sich um die Bewegungs-, Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und
Kommunikationsfähigkeit. Musikalisches Lernen ist also Sinnestätigkeit, d.h. in
erster Linie sensomotorisches Lernen. (s. dazu AMRHEIN 1993)
c. Fördern hängt mit dem Stamm fort zusammen und bedeutet, etwas an eine andere Stelle, weiter nach vorne bringen (siehe Drosdowski, S.199). Wie der Bergmann nur in der Erde vorhandenes Erz, so kann der Pädagoge nur im Schüler bislang Verborgenes fördern. Für Pädagogik gilt wie für den Bergbau, daß man das zu fördernde Gut genau kennen muß. Der Begriff der Förderung hat vor allem in der Sonderpädagogik den für den pädagogischen Bereich unbrauchbaren Begriff der Therapie verdrängt. Die Rede von Förderung erscheint für Pädagogik und Unterricht zunächst banal, weil es ihr erklärtes Ziel ist, Schüler vom jetzigen Zustand an eine andere Stelle zu fördern, er soll jedoch deutlich machen, daß Pädagogik und Unterricht sich nicht am gesellschaftlichen Bedarf sondern an den Bedürfnissen des Individuums orientieren müssen. Förderung geschieht weniger durch von außen gesteuerte Maßnahmen als vielmehr durch aktive, selbstbestimmte Lernprozesse.
Die
genannten Fähigkeiten der Bewegung, des Ausdrucks, der Wahrnehmung und
Kommunikation sind für den Förderprozeß
von dreifacher Bedeutung: es handelt sich 1. um musikalische Fähigkeiten, denn
sie werden von Musik in besonderer Weise angesprochen, sind für jegliche
musikalische Tätigkeit unerläßlich und können sich im Umgang mit Musik in
besonderer Weise differenzieren. Sie sind 2. allgemeine Fähigkeiten ohne die
menschliches Leben kaum möglich ist und sie sind 3. behinderte oder
beeinträchtigte Fähigkeiten, d.h. Indikatoren für menschliche Schwierigkeiten.
Behinderung, ob beim Lernen, beim Umgang mit den Sinnen, ob geistig, seelisch
oder körperlich, bedeutet stets auch eine Einschränkung der Bewegungs-,
Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit. Durch Musik können diese
Fähigkeiten in besonderer Weise angesprochen, stimuliert und strukturiert
werden - wobei diese Fähigkeiten natürlich nicht erst behindert sein müssen, um
gefördert zu werden.
Im
folgenden werden zunächst die motorische und die klangliche Ebene der Stimme
unter musikalischen und sprachlichen Gesichtspunkten untersucht und es wird die
musikalische Praxis, die sich auf diesen Ebenen abspielt, beschrieben.
Die motorische und
die klangliche Ebene der Stimme
Wenn wir sprechen oder
singen, tun wir dies in der Regel in der Absicht, etwas sinn-volles von uns zu
geben und benutzen die sprachlichen und musikalischen Elemente, die Laute,
Silben und Worte sowie die Tonhöhen und -dauern so, wie wir es von Kindheit an gelernt haben. Das Sprechen erhält
Bedeutung durch den korrekten Gebrauch der Worte und das Singen durch die
richtige Wiedergabe der Töne. Beim Sprechen und Singen bewegen wir uns im
Wesentlichen auf der Bedeutungsebene der Stimme: auch wenn die Art und Weise,
wie gesprochen oder gesungen wird, eine Rolle spielt, so kommt es doch in
erster Linie auf das Was, auf den Inhalt an. Der Bedeutungsebene der Stimme
gehen jedoch entwicklungs- geschichtlich die motorische und die klangliche
Ebene voraus, zwei Ebenen, die - auch wenn sie hier getrennt behandelt werden -
eng zusammenhängen.
Die
motorische Ebene können wir beobachten, wenn der Säugling die
Bewegungsmöglichkeiten seiner Mundwerkzeuge entdeckt und im Spiel mit ihnen die
vielfältigsten Laute, Geräusche und Töne produziert, ein Spiel, das
offensichtlich mit Vergnügen, mit "Funktionslust" verbunden ist. PAPOUŠEK/PAPOUŠEK
weisen darauf hin, daß auf dieser Ebene Reize aus der Umwelt den Entwicklungsprozeß
fördern, was z.B. geschieht, "wenn die Mutter die Vokalisation und Mimik
des Kindes nachahmt und ihm so ein 'Art biologischen Spiegel' bietet."
(S.82)
Solch lustvollen Umgang mit der motorischen Ebene der Stimme finden wir bis weit in die Schulzeit beim Nachahmen von Geräuschen aus Natur und Technik, beim Spiel mit den Klang- und Artikulationsmöglichkeiten der Stimme, mit Reimen, Nonsensversen, Zungenbrechern, Phantasiesprachen usw.
Nach BECKER/SOVAK steht bei der Entwicklung der Stimme und des Sprechens der "primäre, motorisch-kinästhetische Sprachkreis" vor dem "sekundären motorisch-kinästhetisch-akustischen" (S.49f.), was bedeutet, daß die Stimme zuerst über die Motorik und dann erst über das Ohr lernt. Die auditive Rückkopplung ist wirksamer bei gleichzeitiger motorischer Kontrolle. Auch GRAICHEN betont den Zusammenhang zwischen dem motorischen und dem akustischen "Sprachkreis" und sagt: "Die Phoneme....werden nicht nur nach klanglichen Dimensionen auditiv, sondern ebenso präzise auch nach feinmotorischen Dimensionen taktil-kinästhetisch unterschieden." (S.29)
Von
der klanglichen Ebene der Stimme ist die Rede, wenn durch
"Klanggesten" (oh, ah, hei, au, na, Lachen, Brummen, Stöhnen usw.)
bzw, durch Betonung, Färbung, Tonfall, Lautstärke, Dynamik, Tempo, durch die
Art wie etwas gesagt oder gesungen wird, etwas mitgeteilt wird (z.B. Ruhe, Langeweile,
Unruhe, Freude, Spott, Trauer, Zu- oder Abneigung usw.). Dabei stehen weniger die
Bewegungs- als vielmehr die Klang- und Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme im
Vordergrund. Lange bevor das Kind Bedeutung aus den Worten der Sprache
entnimmt, "versteht" es den Klang der Stimme. Über die Bedeutung des
Klangs der mütterlichen Stimme für den Säugling sagt STERN: "Wichtig ist
dabei die Melodie, nicht die Worte selbst. Sie benutzt die Melodie ihrer Stimme
wie eine Decke, mit der sie ihn einhüllt." (S.43)
Wenn auch - wie schon gesagt - die motorische eng mit der klanglichen Ebene verbunden ist, so spricht doch Einiges für eine besondere Gewichtung der motorischen, d.h. für ein konsequentes Ernstnehmen der körperlichen Bewegung, vor allem des Zusammenhangs zwischen Artikulationsmotorik, Mimik und Gestik sowie ganzkörperlicher Bewegung. Der Sprachrhythmus wird zum musikalischen Rhythmus und zur Klanggeste (z.B. Klatschen, Stampfen) und zur Bewegung und umgekehrt. Die sensomotorische Ebene ist die allgemeinste und Ebene menschlicher Erfahrung und die Basis sowohl für allgemeine als auch für musikalische und sprachliche Intelligenz.
Die
motorische und klangliche Ebene bekräftigen in der Regel das auf der
Bedeutungs- oder Inhaltsebene Vermittelte, können dies aber auch konterkarieren
ins Gegenteil verkehren, wenn man z.B. "ja" sagt, aber aus der Art,
wie gesprochen wird, das "nein" deutlich wird oder wenn "das
hast du schön gemacht!" durch den Klang der Stimme zu einem Tadel wird.
Sprechen
und Singen erhalten durch die motorische Ebene Rhythmus, Flüssigkeit und
Gliederung, durch die klangliche Ebene Farbe, Ausdruckskraft und
Gefühlshaftigkeit. Diese beiden Ebenen der Stimme garantieren, daß das mit
rationalen Worten Gesagte oder mit richtigen Tönen Gesungene auch emotional
"ankommt".
Durch die motorische und die klangliche Ebene der Stimme kann erklingende Sprache zu Musik werden oder wenigstens einen musikalischen Anteil erhalten. Diese beiden Ebenen können sich aber auch von der Sprache oder von den "richtigen" Tönen der Musik lösen und verselbständigen. Dann können sich auf diesen Ebenen musikalische Spiele - Musik mit der Stimme - entfalten, die ohne Angst vor den phonematischen, grammatikalischen oder semantischen Notwendigkeiten der Sprache und ohne Furcht vor falschen musikalischen Tönen gespielt werden können. Bevor nun diese "Musik mit der Stimme" als Teil der subjektiven und objektiven musikalischen Realität von Kindern und Jugendlichen vorgestellt und die pädagogische Praxis beschrieben wird, sollen noch einige Argumente von sprachlicher Seite die Bedeutung der motorischen und klanglichen Ebene der Stimme unterstreichen.
Präverbale/paralinguistische
Aspekte von Sprache
Als präverbal
bezeichnet die Sprachwissenschaft die Lautäußerungen, die vor dem Spacherwerb
zu beobachten sind und als paralinguistisch die klanglichen Eigenheiten der
Stimme wie Klangfarbe, Tonfall, Artikulationsweise usw., die lautlichen
Äußerungen wie Lachen, Husten, Stöhnen, Seufzen usw. sowie die Bewegungen und Gesten,
die das Sprechen begleiten.
Was die präverbale Entwicklung angeht unterscheiden PAPOUŠEK/PAPOUŠEK neben dem Schrei, der nach der Geburt vorübergehend dominiert "basale vokalähnliche Laute", die "während ruhiger Verhaltenszustände mit minimalem Einsatz der Stimmbänder bei leicht geöffnetem oder geschlossenem Mund hervorgebracht werden...sowie die silbenartigen Laute, bei denen jeweils ein Konsonant und ein Vokal in rhythmischen Wiederholungen gepaart sind". (S.83)
Als
paralinguistische Elemente unterscheidet FÄHRMANN "Habituelle
Stimmqualitäten.... Ausdrucksmodi, die aufs engste mit der persönlichen
Konstitution verwoben und daher exogenen Einflüssen am allerwenigsten
ausgesetzt sind (Stimmlage, Lautstärke, Volumen und Timbre)...von den individuellen
Verlaufsqualitäten, jene Merkmale, die...im Lauf der individuellen Entwicklung
und in der Auseinandersetzung mit der Umwelt geformt werden (Sprechtempo,
rhythmischer Ablauf, Akzentuierung und Artikulation.)" (S.140ff)
LOTZMANN benutzt in Anlehnung an Termini wie Phonem und Lexem den Terminus Akuem und versteht darunter "alle Merkmale, durch die sich ein Affekt oder Gefühlszustand phonisch und artikulatorisch kundgibt." Er unterscheidet den "physiognomischen Aspekt", die persönliche Sprechart, vom "pathognomischen Aspekt", das sind "affektiv gesteuerte stimmliche Merkmale,...die anzeigen, was das Gemüt des Sprechers im Augenblick des Ausspruchs bewegt." (S.81) Die Akueme bilden ein "System idealtypischer stimmlicher Ausdrucksgestalten", die überindividuelle Gültigkeit haben, d.h. allgemein verständlich sind. Auch wenn wir die Sprache eines Menschen nicht sprechen, können wir seinen Ausdruck verstehen. Die "Ausdrucksgestalten" der Akueme entstehen u.a. durch unterschiedliche Einstellungen der Stimme, z.B. Wohlbehagen, Sympathie, Höflichkeit durch Rachenweite, Ekel, Zorn, Furcht durch Rachenenge. (S.82) Zur physiognomischen und pathognomischen Ebene, die nicht an Worte und Sätze gebunden ist, kommt als dritter Aspekt der sprachbezogene Ausdruck hinzu. Es muß jedoch festgestellt werden, daß "der Sprechausdruck, im besonderen der Stimmausdruck allein durch seine akustische Struktur bestimmte Ausdrucksgehalte übermitteln kann...Allerdings steht die 'Phonognomik' erst am Anfang detaillierter Analysen." (S.83)
Alle
Autoren weisen auf den besonderen Zusammenhang zwischen präverbalen,
paralinguistischen sowie sprachlichen Äußerungen einerseits und der gesamten
kindlichen Motorik andererseits hin. "Der enge Zusammenhang in der
Entwicklung von Bewegung und Sprache ist im Verlauf der Kindheit immer wieder
deutlich zu sehen. Dies gilt für nicht-verbale Kommunikationsfähigkeiten ebenso
wie für spezifisch sprachliche Äußerungen." (NEUHÄUSER S.16)
Zu
bedauern ist, daß aufs Ganze gesehen in den Arbeiten der Sprach- und
Kommunikationswissenschaft sowie der Sprachbehindertenpädagogik die präverbalen
und paralinguistischen Aspekte der Stimme, überhaupt die nonverbalen Anteile
von Kommunikation eine relativ geringe Rolle spielen. Dies dürfte auch damit
zusammenhängen, daß dieser Bereich wegen seinen starken emotionalen Bezügen der
Forschung schwerer zugänglich ist und daß auch vom Pädagogen, der mit diesen
Elementen arbeiten will, notgedrungen der besondere Einsatz seiner
Emotionalität oder wenigstens ein hohes Maß an Unbefangenheit verlangt würde.
Über den Zusammenhang
dieser außerverbalen Gegebenheiten mit der Sprache sagt HOMBURG lapidar: "Die
Analyse der Deklarationsmotorik führt in den Vorhof der Sprache, aber sie führt
nicht weiter." (S.75) Er spricht damit die Kluft an, die besteht zwischen
der Fähigkeit, noch so differenziert und phantasievoll mit den Klängen A - U -
T - O zu spielen und der Fähigkeit, das mit dem Wort "Auto"
Bezeichnete in unterschiedlichsten Bezügen zu verstehen. Da jedoch "die
Artikulationsbewegung der Kanal ist, über den die deklarativen Güter
transportiert werden"(ebd.), plädiert er dafür, diesen Kanal verfügbar zu
machen. GRAICHEN stellt fest: "Die hirnorganischen Systeme, die für die
Bewegungssteuerung zuständig sind,
werden niemals deckungsgleich mit den sprachlichen, insbesondere mit den
sprachlichen Gedächtnissystemen. Sie sind aber in bestimmten Bereichen integrativ
miteinander verbunden." (S.42) Er nennt als Beispiel einer solchen
"analogen" Verbindung das "Sequenzgedächtnis", das bei
gezielter Bewegung, bei Musik und bei Sprache gleichermaßen benötigt wird.
In
einem Beitrag über "Schichtenspezifische Formen des Sprachverhaltens"
geht OEVERMANN auch auf die Artikulationsfähigkeit ein und sagt "Man
sollte meinen, daß es sich hier um bloße motorische Fertigkeiten handelt, die
ohne Konsequenzen für die Intelligenzentwicklung wären." (S.311) Er
berichtet von Untersuchungen, in denen sich positive Korrelationen zwischen der
Artikulationsfähigkeit und der kognitiven, affektiven und sozialen Entwicklung
zeigten. "Kinder, die die elementaren Voraussetzungen der sprachlichen
Kommunikation, wie Artikulations- und Lautdiskriminierungsfähigkeit sie
darstellen, nicht genügend beherrschen,
werden sich schwertun, zwischen phonetisch "ähnlichen, aber ihrer
Bedeutung nach sehr verschiedenen Wörtern zu unterscheiden. Daraus ergeben sich
später Schwierigkeiten bei der Aneignung eines differenzierten und
durchgegliederten Bedeutungssystems." (S.312)
Die
angeführten Argumente aus Sprachwissenschaft, Linguistik und
Sprachheilpädagogik beziehen sich eindeutig auf die weiter oben beschriebene
motorische und klangliche Ebene der Stimme und ermutigen zu pädagogischen,
fördernden Bemühungen auf diesen Ebenen. Wer wäre berufener zu solchen
Bemühungen als das Fach Musik!
Musik mit der Stimme
Bevor Musik und
Sprache sich als Lieder, Sätze, Sinfonien und Romane ausformen, sind sie ein Spiel auf den oben beschriebenen beiden
Ebenen, die jedoch weder beim sprachlichen noch beim musikalischen Lernen
genügend beachtet werden. Unter sprachlichem Lernen verstehen wir, daß das Kind
lernt, korrekt zu sprechen und unter musikalischem Lernen, daß es lernt,
richtig zu singen.
Obwohl
die Kinderstimme über reiche klangliche Nuancen verfügt ist häufig "Sprich
lauter!" oder "Sprich deutlicher!" der einzige Hinweis des
Lehrers und obwohl Kinder große Klangphantasie haben, werden sie oft auf
Melodien festgelegt, die ihnen nicht entsprechen. Das bedeutet, sowohl
sprachliches als auch musikalisches Lernen wird häufig zu einseitig auf der
Bedeutungsebene angesiedelt und es wird übersehen, daß grundlegende
musikalische und sprachliche Erfahrungen zunächst auf der motorischen und
klanglichen Ebene gemacht werden müssen.
Vorbilder
für die intendierte Musik mit der Stimme finden wir auf der einen Seite im
unbefangenen Umgang von Kindern mit ihrer Stimme, auf der anderen Seite in der
Art wie mit der Stimme in anderen Kulturen oder in Jazz, Rock- und Popmusik
umgegangen wird sowie in der Neuen Musik.
Die
enge Beziehung der motorischen und klanglichen Ebenen der Stimme zum Erleben
von Kindern aber auch von Jugendlichen dürfte deutlich geworden sein. Die Erwachsenen hingegen werden in der Regel
durch Sozialisation und gesellschaftliche Tabus von diesen Ebenen ferngehalten.
Diese Ebenen sind die Basis des Scat-Gesangs und der Bebop-Vocals im Jazz oder
des Rap in der Rockmusik sowie der Jodler, Trallala- und Juppheidi-Refrains der
Volksmusik und Folklore und der neuen
Vokalmusik von Komponisten wie BERIO, CAGE, KAGEL, LIGETI, NONO, SCHNEBEL,
STOCKHAUSEN und anderen. DIETER SCHNEBEL beschreibt diese Musik, in die alle
möglichen Äußerungsformen der menschlichen Stimme einbezogen sind: "Da
röhrt es und lallt's, Aufschreie ertönen und Gelächter, es wird gejohlt,
losgeheult, aber auch sirenenhaft gesungen. Sänger fauchen, zischen, keuchen;
bringen erstickende Laute hervor; sie sprechen aber auch - normal, gefühlvoll,
exaltiert, mühsam buchstabierend, oder sie verlieren die Sprache und bilden
durch sinnlose Laute den Übergang in Gesang...Die Stimmen werden von den
Konventionen des Kunstgesangs freigemacht, also entfesselt." (1972,444)
Auch in den Bühnenwerken CARL ORFF's und in seinem "Schulwerk", in Sprachkompositionen wie der "Fuge aus der Geographie" von ERNST TOCH, in den "Rhythmicals" von KARL FOLZ, oder in Sprechspielen anderer Autoren geht es vor allem um die genannten motorischen und klanglichen Ebenen der Stimme. Diese musikalische Praxis findet Parallelen in Gedichten von CHRISTIAN MORGENSTERN und JOACHIM RINGELNATZ, KURT SCHWITTERS, HUGO BALL oder ERNST JANDL.
Musikalische
Kommunikation mit der Stimme
Die Stimme ist nicht
nur das wichtigste Medium für menschlichen Ausdruck, sondern ebenso für
Kommunikation. Nach WATZLAWICK hat "jede Kommunikation einen Inhalts- und
einen Beziehungsaspekt: der Inhaltsaspekt vermittelt die 'Daten', der
Beziehungsaspekt weist an, wie diese Daten aufzufassen sind." (S.55) In
der Sprache kommt der Inhaltsaspekt vor allem in den relativ eindeutigen
(digitalen) Worten, der Beziehungsaspekt vor allem in den beschriebenen relativ
mehrdeutigen (analogen) motorischen und klanglichen Ebenen der Stimme sowie
durch Mimik und Gestik zum Ausdruck. Während bei der sprachlichen Verständigung
in der Regel die Inhaltsebene im Vordergrund steht, spielt für den Umgang mit
Musik - wenigstens für den Nicht-Musiker - die Beziehungsebene die größere
Rolle. Musik ist weniger in der Lage, bestimmte Daten zu vermitteln, vermag
jedoch sehr wohl Beziehung herzustellen.
Die
Zeichen, mit denen wir kommunizieren (Worte, Töne, Gesten usw.), haben eine
grammatikalische, eine semantische und eine pragmatische Funktion: Unsere Sprache oder Musik paßt in
ein System, nach dem wir "richtig" sprechen oder singen (Grammatik);
unsere Sprache oder Musik bedeutet (mehr oder weniger konkret) etwas Gedachtes,
Gefühltes oder Gewolltes (Semantik) und unsere Sprache oder Musik richtet sich
an jemanden, hat Aufforderungscharakter (Pragmatik).
Man muß davon
ausgehen, daß unter den beiden Aspekten der Beziehungsaspekt und unter den 3
Funktionen die pragmatische die entwicklungsgeschichtlich "älteren
Gegebenheiten darstellen. Sie haben ihre Resonanz vor allem in den
subkortikalen Regionen des Gehirns, die mehr für die emotionale Verarbeitung
zuständig sind. Der Inhaltsaspekt sowie
die grammatikalische und semantische Funktion beanspruchen vor allem die
jüngeren Rindenfelder, denen mehr die rationale Verarbeitung obliegt.
"Musik mit der Stimme" weist vorwiegend auf den Beziehungsaspekt und spricht vor allem die pragmatische Funktion an, während der Inhaltsaspekt sowie die grammatikalische und semantische Funktion zunächst vernachlässigt werden. Das bedeutet, die Hürde von "richtig" oder "falsch" ist weggenommen und die Beziehung zur Musik, die Lust an musikalischer Tätigkeit, kann sich frei entfalten. Von da aus können dann - unter behutsamer Anleitung - auch die Bezüge zum Inhaltsaspekt sowie zur grammatikalischen und semantischen Funktion aufgebaut werden.
Es geht also darum,
Kinder auf die beschriebene motorische und klangliche Ebene ihrer Stimme zu
locken und sie zu vielfältigen Spielen auf diesen Ebenen zu motivieren. Nach
einigen Bemerkungen über die Rahmenbedingungen werden solche Spiele
vorgestellt.
Die
"äußere Form ist der Kreis, in dem alle auf dem Boden sitzen oder stehen.
Es muß genügend Bewegungs- und Spielraum sein, damit jederzeit die Hände und
Füße zum Klatschen, Kniepatschen, Stampfen oder anderen Gesten und Bewegungen
einbezogen oder auch größere Bewegungen gemacht werden können. Die Gruppengröße
sollte etwa bei 12 liegen: es ist zwischen allen Blickkontakt möglich, es
klingt nicht zu "dünn" (man kann sich auch einmal im Klang der Gruppe
verstecken) und man kann noch auf den einzelnen hören. Alles, was erklingt,
soll als die gemeinsame Musik ernstgenommen werden. Es darf gelacht werden
(dies ist besonders gut für die Stimme). Auch wenn es zwischendurch laut
zugeht, soll die Musik immer wieder auch leise sein. Häufige Abwechslung und
ständige Differenzierung in dynamischer und klanglicher Hinsicht können
Aufmerksamkeit und "ästhetisches Vergnügen wachhalten. Die Stille und das
Horchen auf das, was außerhalb von uns und in uns zu hören ist, sind genau so
wichtig, wie die Musik.
Die
Rolle des Lehrers kann nicht hoch genug eingeschätzt werden: das Lernen bei
diesen Spielen ist großenteils Imitationslernen, braucht also ein gutes
Vorbild, wobei es nicht nur auf Sicherheit im Umgang mit der eigenen Stimme,
sondern auch auf lockere, auffordernde Mimik und Gestik ankommt. Der Lehrer muß
einerseits Vorbild sein, andererseits aber auch die Kinder zu Eigenem ermutigen,
er muß Spannung erzeugen können, aber auch zur Entspannung, zum Zeitlassen
fähig sein. Diese Spiele leben vom Spaß am Umgang mit der Stimme und der
Bewegung. Dazu sagt AYRES: "Ein Kind, das Erfahrungen mit Anforderungen
macht, auf die es sinnvoll reagieren kann, hat Spaß. Im gewissen Sinn ist
Spaßhaben ein Inbegriff für gute sensorische Integration des Kindes."
(S.9) Ganz wichtig ist noch, daß die
Kommunikation zwischen Lehrer und Kindern (Regeln abmachen, Anregungen geben,
Anfang und Ende Signalisieren usw.) möglichst nonverbal geschieht. Es ist
erstaunlich, wie schnell und wie intensiv man sich auf der motorischen und
klanglichen Ebene auch ohne Worte verständigen kann und welche (spielerische)
Aufmerksamkeit diese Art von Kommunikation provoziert!
Klangspielzeug
Der Lehrer macht einen
Klang vor, (wirft ihn, wie ein Spielzeug in den Kreis) alle machen ihn nach und spielen damit,
indem sie ihn in Höhe, Tiefe, Lautstärke, Klangfarbe, Tempo verändern (z.B.
dubb dubb dubb; tz tz tz; ooooo; eieieieiei; mmmmmm; jajaja: schschsch; rrrrr;
Schnalzen mit der Zunge, den Lippen, dem Gaumen; hecheln; gurgeln; prusten;
kichern; mit zugehaltener Nase; wie ein Indianergeheul; wie ein Pferd; wie eine
Katze usw.). Mit der eigenen Stimme kann der Lehrer behutsam zu neuen
Klangnuancen in Höhe, Tiefe, Lautstärke usw. lenken. Die Aufmerksamkeit soll
einerseits bei den Klängen selbst, andererseits aber auch bei dem
Sich-Zuspielen der Klänge, beim kommunikativen Spiel sein, wenn die Kinder sich
mit den Klängen "ansprechen", oder einander die Töne "vom Mund
abnehmen". Der Lehrer muß abschätzen, wie lange mit einem Klang gespielt
wird und wann er einen neuen in den Kreis gibt.
Wenn sich die Regeln
eingespielt haben, gibt jedes Kind einen Klang in den Kreis, mit dem dann eine
Weile gespielt wird. Da kann es sein, daß Talente und Fertigkeiten hörbar
werden, die beim gewohnten Singen kaum eine Chance hätten, und natürlich gibt
es viel zu lachen. Es kann auch zu jedem Klang eine passende Bewegung oder
Geste erfunden werden. Eine eigene Form entsteht, wenn mit den Klängen nicht
mehr frei gespielt wird, sondern sie durch den Kreis wandern, wobei sie gleich
bleiben, oder sich verändern können. Wie schnell kann z.B. ein "o"
durch den Kreis geschickt werden, ohne daß es "herunterfällt"? Wie lange dauert es, wenn jeder den Klang
erst dann an den nächsten abgibt, bevor ihm die Luft ausgeht? - Der Klang ist
bei einen laut, beim nächsten leise, bzw. hell und dunkel. - Der Klang wird bei
jedem ein wenig höher, lauter usw. - Klänge und Gesten können sich abwechseln:
einer produziert einen Klang, der nächste erfindet eine Geste dazu.....
Nonsens-Verse
Ein Vers - z.B.
"Ellri mellri sippri sa - sippri sappri knoll",- wird spielerisch
durch Vor- und Nachsprechen gelernt. Dabei werden die Möglichkeiten des
Flüsterns, des laut, leise, hoch, tief Sprechens, lauter, leiser, heller, dunkler,
langsamer, schneller usw. Werdens ausprobiert und es wird auf das Einhalten des
gemeinsamen Metrums und auf den Taktbezug (4/4) geachtet. - Der ganze Vers wird
sehr leise, das letzte Wort sehr laut gesagt. - Der Vers wird im Kreis
herumgegeben, wobei jeder zwei Silben (eine Viertelnote) oder eine Silbe (eine
Achtelnote) sagt, ohne aus dem Takt zu kommen. - Der Vers wird geklatscht (jede
Silbe ein Schlag) oder die einzelnen Silben werden auf Hände und Füße verteilt.
- Der Vers wird abwechselnd von der Stimme und von Händen und Füßen
dargestellt..., es werden also alle Möglichkeiten, mit dem Material dieses
Nonsens-Verses rhythmisch und klanglich zu spielen, genutzt.
Mit diesem Nonsens-Vers können auch ganz verschiedene Ausdruckscharaktere dargestellt werden: er kann als Frage "Ellri...knoll?" oder als Antwort "Ellri.. ..knoll!" gesagt werden. Einer fragt, ein anderer antwortet. - Wie klingt es, wenn die Frage belustigt, langweilt, empört, "ärgert, traurig macht, erschreckt, überrascht...- Wie klingt der Vers, wenn ihn ein alter Mann, ein Zauberer, eine Hexe, eine Fee, ein Prediger, ein Clown usw. sagt? - Wie klingt er in der Sesam-Straße, einem Krimi, der Tages- oder Sportschau, der Oper, einem Liebesfilm....? Es können Ratespiele damit gemacht werden: einer sagt ihn, die anderen sollen raten, wie er gestimmt ist....
Unsere - meine
Namensmusik
Den eigenen Namen hört
man von klein auf in den unterschiedlichsten Nuancen von anderen, während man
ihn selbst nur als Mitteilung ausspricht. Deshalb sind bei diesen Klangspielen
u.U. einige Hemmungen zu überwinden. Andererseits kann die Musik des eigenen
Namens für den Träger auch eine Bestätigung bedeuten. Hier einige Beispiele für
solche Namensmusiken:
-
Jeder stellt sich vor, wie er seinen Namen
(wiederholt) singen oder sprechen könnte. Auf ein Zeichen beginnen alle
(leise!) mit ihrer Namensmusik. Sehr wichtig ist die Phase der inneren Vorstellung
(welcher Rhythmus, auf einem Ton oder auf verschiedenen usw.) Man muß viel Zeit
zum "Hineinkommen" lassen. Es kann ein gemeinsames Zeitmaß vorgegeben
werden (auch auf einem tiefen Klangstab) oder das Spiel kann metrisch frei
beginnen. Das Ganze kann aufgenommen, abgehört, diskutiert, verändert werden.
-
Dieses Spiel kann variiert werden, wenn alle
ihre Namen leise singen und jeweils einer als Solist mit seinem Namen
hervortritt oder wenn einer nach dem andern beginnt.
-
Aus dem Klangmaterial der Namen können
Kompositionen entstehen. Das Material des Namens Anette z.B. besteht aus einem
A, einem n, zwei e und zwei t, oder aus den Silben An - net - te, der
"Krebs" lautet Ettena. Daraus könnte schon eine dreistimmige
Komposition entstehen: eine Gruppe singt anananan..., die andere nett? - nett?
und die dritte te...tete...te, wobei natürlich jede Stimme ihren Rhythmus, ihre
Betonungen, ihren Tonfall, ihre Melodie usw. finden muß.
-
Jeder kann auf einem DIN-A3 Bogen eine
"Partitur" seines Namens erstellen. Dabei kann die zeichnerische und
kalligraphische Phantasie die Klangphantasie beflügeln und umgekehrt. Die
Buchstaben und Silben können zu Girlanden und Ornamenten, klein, groß, dick,
dünn geschrieben werden, geradeaus, auf- oder abwärts laufen, eckig oder rund,
fein oder grob aussehen und die Elemente können kombiniert, vielmehr
"komponiert" werden. All dies muß nun unter Leitung des Komponisten
zum Klingen gebracht werden: "Wie klingt das, was ich sehe?" Dabei
kann wieder Mimik, Gestik, Bewegung einbezogen und zum Namensbild und der
Namensmusik ein Namenstanz entstehen.
Rap
Vor allem für "ältere Schüler, für die die bisher vorgestellten Beispiele vielleicht zu sehr "Kinderkram" sind, ist der Rap geeignet, weil er sowohl die Hörgewohnheiten als auch die Ausdrucksformen von Jugendlichen berücksichtigt. Zu einem ostinaten Rhythmus, der mit Händen, Füßen und Instrumenten gestaltet oder als Playback eingespielt werden kann, wird "gerapt".
Eine Spielart ist diese: alle stehen im Kreis und grooven sich auf einen Grundschritt (rechts-ran-links-ran) ein. Das gemeinsame Metrum, das diese Schritte markieren, sollte - auch wenn z.B. etwas erklärt werden muß - nicht verlassen werden, damit die musikalische Spannung erhalten bleibt. Damit diese Basis, die mit der Stimme (dumm-tscha - oder auch mal 1-2-3-4 zählen) und den Händen (z.B. auf den Off-Beat schnipsen) befestigt wird, einerseits "steht", andererseits ins Swingen kommt, sind viel Geduld und vor allem rhythmische Sicherheit und bewegungsmäßige Lockertet des Lehrers nötig. (Hier wird deutlich, was die gleichzeitige musikalische Stimulierung und Srukturierung bedeutet!)
Diese
Basis also bildet den Rahmen für die vielfältigsten Stimmaktionen. Nach dem
call-response Prinzip werden eintaktige Rhythmuspattern zunächst vom Lehrer
vorgegeben, dann von den Schülern erfunden. z.B.
q q
e e q
dumm
tscha dumm dumm tscha
q q
q q
bumm
tschak brrrr -
- - - rt
x
x x x x x x x
h
dagadaga
dugudugu ding usw.
-
Wenn verschiedenen Pattern gleichzeitig
gesprochen werden, wird die Musik mehrstimmig.
-
Daraus kann sich ein Rondo mit festgelegtem
Refrain und Improvisationsteilen entwickeln.
-
Die Rhythmen können nicht nur gesagt, sondern
auch als Klanggesten gespielt werden.
-
Es werden nicht nur Rap-Silben, sondern richtige
Sprache verwendet. Daraus können nach dem call-response Prinzip Spiele
entstehen, in denen man sich etwas verschiedenes mitteilt.
-
Es werden richtige Raps mit Refrain und Strophen
erfunden (s.dazu BRÜNGER).
-
Schließlich ist der Rap ein Tanz. Bei der
Erarbeitung seiner Gesten und Bewegungsformen sind die Schüler in ihrem Element
und der Lehrer kann nur von ihnen lernen.
Die überragende
Bedeutung der motorischen Ebene beim Rap ist nicht zu übersehen. Es geht um
schnelle und exakte Bewegung der Mundwerkzeuge und darum, diese Bewegung dem
Fluß der Musik anzupassen und in besonderer (oft witziger) Weise (mit
Dehnungen, Raffungen, Synkopen usw.) zu gliedern. Auch Worte und Sätze sind auf
dieser Ebene - vor allem durch die rhythmische Basis - mehr Träger von Zeit als
von Sinn und Inhalt. Das heißt, sie haben keine zweckhafte Bedeutung, sondern
werden als Spielelemente erlebt. Die klangliche Ebene - Dynamik und Sprechhöhe der Stimme sowie ihr
Ausdruckscharakter von cool bis exaltiert - ist jedoch nicht weniger wichtig.
Gerade im Umgang mit dieser Musikform, die ihnen nahesteht, können Schüler zu
zunächst ungewohntem eigenem Ausdruck motiviert werden. Ebenso deutlich wird am
Rap, welch großen Einfluß Gestik und ganzkörperliche Bewegung auf Motorik und
Klang der Stimme haben.
C. Fazit
Wesentliche Merkmale
musikalischen Handelns und Lernens sind die Dominanz der sensomotorischen
Ebene, das Gleichgewicht zwischen Stimulierung und Strukturierung sowie die
Wiederholung, Merkmale, die dem Handelnden und Lernenden vom Lehrer jedoch erschlossen
werden müssen. Darin, daß diese musikalischen Merkmale auch im Umgang mit
Sprache zur Geltung kommen können, liegen die eigentlichen Möglichkeiten einer
Sprachförderung durch Musik.
-
Über die basale Bedeutung der sensomotorischen
Ebene für alle Lernprozesse herrscht weitgehend Einigkeit. "Der größte
Teil dessen, was wir lernen, muß in erster Linie durch Verknüpfung unserer
sinnlichen Wahrnehmungssysteme (d.h. auf der sensomotorischen Ebene F.A.)
erfolgen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann mehr intellektuelles und
akademisches Lernen in der Großhirnrinde erfolgen." (AYRES,S.66) Und
FELDENKRAIS formuliert ganz drastisch: "Alles Lernen, an dem
Muskeltätigkeit nicht beteiligt ist, ist schlechtes Lernen." (S.181) Es
ist klar, daß sprachliches und musikalisches Lernen häufig deshalb schwerfällt,
weil ihm die sensomotorische, körperliche Basis fehlt.
-
Die Spannung oder Balance zwischen Stimulierung und Strukturierung, ist
kennzeichnend für den musikalischen Prozeß: die Impulse der Musik provozieren
innere und "äußere Bewegung, setzen Emotionen und Assoziationen frei und
stellen gleichzeitig durch ihre Regelhaftigkeit Ordnung und Struktur her. Dies
gilt nicht nur für Musik, sondern auch für die musikalischen Ebenen (die motorische
und klangliche) Ebene der Sprache.
-
Für das Lernen, die "Verknüpfung der
Wahrnehmungssysteme", die Bahnung der Verbindungen (Synapsen) zwischen den
Nervenzellen ist die Wiederholung unerläßlich. Dazu sagt AYRES: "Jedes
Mal, wenn eine Nervenbotschaft die Synapse durchquert,...bei jeder Wiederholung
eines sensorischen oder motorischen Prozesses wird weniger Nervenenergie
verbraucht." (S.65) Und LURIJA bemerkt: "Eine sich bildende Bewegung
besteht anfänglich aus einer Reihe isolierter Impulse. Erst nach und nach
werden die einzelnen Impulse bei der Entwicklung motorischer Fähigkeiten
miteinander verknüpft und zu kinästhetischen Zusammenhängen oder 'kinetischen
Melodien' umgewandelt..."(S.177). Die Wiederholung ist das wichtigste
formbildende Element in der Musik und ein wesentlicher Garant für die Lust an
der Musik. Während bloße Wiederholung leicht ermüdet, ist musikalische
Wiederholung, die noch dazu häufig eine variierte Wiederholung ist belebend.
Auf diese belebende Wirkung der Wiederholung müßte der Musikunterricht mehr
vertrauen.
Das größte Problem
scheint, daß die hier skizzierte Musik in ihren Zusammenhängen eines Animateurs,
Vermittlers, Spielleiters bedarf, daß es weniger darauf ankommt, daß Musik
gemacht, sondern vor allem wie sie gemacht wird. Der Lehrer muß es verstehen,
die beschriebene Spannung oder Balance herzustellen, zu kalkulieren bzw. zu
dosieren. Für die Auswahl und Anordnung der Musik muß er Didaktiker und
Methodiker, zur Durchführung aber Musiker und Künstler sein. Man kann davon ausgehen,
daß zumeist die Schüler das lernen und können, was der Lehrer gelernt hat und
kann. Gerade Schüler, die langsam lernen, sich schwer konzentrieren, außerhalb
der Schule wenig Anregungen erhalten, einen rigiden Umgangston gewöhnt sind,
haben im Umgang mit ihrer Stimme besondere Hemmungen und sind auf konkretes
animierendes Handeln des Lehrers angewiesen. Ob also Kinder in der hier
vorgeschlagenen Weise gefördert werden können, hängt zum großen Teil von der
Bewegungs- Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit des Lehrers ab. Dem Lehrer jedoch
kann hier kein Vorwurf gemacht werden, sondern es ist zu bemängeln, daß die
hier dargelegten Zusammenhänge und damit auch die zu ihrer Realisierung
notwendigen Qualifikationen in der wissenschaftlichen Diskussion und in der Lehrerausbildung
sträflich vernachlässigt werden.
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